Nacharbeit zur GÖG-Veranstaltung vom 3. Oktober 2025 zur Bürgerbeteiligung im Gesundheitswesen
Projekt: ... Bevölkerungsbeteiligung im Gesundheitswesen
Anfang Oktober fand in der Urania ein Bürger:innen-Forum zum Thema Strategie zur Stärkung von Patient:innen- und Bevölkerungsbeteiligung im Gesundheitswesen statt. Vorbereitend vorausgegangen war eine Umfrage an den zumeist mit zufälliger Auswahl eingeladenen Bürgern.
Motiviert vom Text der Projektseite
Die Ziele der Strategie sind dahingehend festzulegen,
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den ich als Arbeitsprogramm für das Forum interpretiert hatte, hatte ich mich aufgrund eines Aufrufs im ÖKUSS-Newsletter an der Umfrage beteiligt und mich für eine Teilnahme am Forum beworben.
Und damit bin ich auch in das ehrwürdige Gebäude geladen worden, wo Kasperl und Pezi vor kurzem ihr 75-Jahre-Jubiläum gefeiert haben. Ich war schon lange nicht mehr im Dachgeschoß der Urania und hab mich gefreut, endlich wieder mal einen Präsenztermin dort wahrnehmen zu können. Auch wenn es recht ungewohnt war, abgesehen von den Veranstaltern nur zwei bekannte Gesichter (von geschätzt 30 Teilnehmern) gesehen zu haben.
Mein Gedächtnis ist schlecht und ich glaube, dass man bei der Bewerbung zum Forum eine Reihung von Interessensgebieten vornehmen konnte. Irgendwie sind wir jedenfalls schon im Vorfeld zwei von 6 Arbeitstischen zugeordnet worden, an denen wir im Lauf des Tages nacheinander jeweils eine Pinwand zu diesen beiden Themen mit unseren Einfällen und Meinungen zu befüllt hatten.
Gegen Ende der Veranstaltung wurden wir aufgefordert, pro gerade an einem Thementisch sitzender Gruppe ein oder zwei Personen zu nominieren, die in Workshops und eine Runde mit Vertretern der Bundeszielsteuerung geschickt werden sollen.
Was vorher geschah
Das Forum war offenbar ein Nachfolgeprojekt des
Partizipativer Strategieprozess Zukunft Gesundheitsförderung (2022).
Entsprechend wurde aus der damals erstellten
Roadmap Zukunft Gesundheitsförderung (März 2023) zitiert
und darauf hingewiesen, dass diese wichtig für nahezu alle Entscheidungen im Gesundheitswesen sei und überall Beachtung fände.
Ich hatte mir die Roadmap zufälliger Weise zur Vorbereitung angeschaut und war sehr angetan, dass gefühlt jedes zweite Zitat mit sozialer Härte und
ökonomischer Not verbunden war - endlich einmal das offizielle Bekenntnis, dass Armut krank macht, hatte ich mich gefreut.
Aber von dieser Gruppe schien eher kaum jemand da zu sein.
Und dann schoss mir auch die Erinnerung durch den Kopf,
dass gerade wieder die Mindestsicherung populär nach unten lizitiert wird - diese kognitive Dissonanz wird leichter erträglich, wenn man intensiv an den
75-Jahre-Jubilar denkt ...
Das Format des heutigen Forums hat wohl im Endbericht Partizipation im Gesundheitswesen (März 2023, Datei ist aber von 2024-02-05) seinen Ursprung, konkret ausformuliert in Leitende Prinzipien für Bürgerbeteiligung in Strategieprozessen für die Gesundheitsförderung (November 2023, Datei ist aber von 2024-01-11).
Der Ablauf
Der Ablauf der "Arbeit" im Forum war schräg, weil untereinander gefragt wurde, wozu man eigentlich da sei.
Falls jemand den Text auf der Projektseite gelesen hat (siehe oben), dann wurde die damit geweckte Erwartung jedenfalls nicht erfüllt,
vielmehr wurde diesem Themenbereich elegant ausgewichen.
Die in den Raum gestellte Frage war vielmehr, was es denn für die Beteiligung individueller Personen für Voraussetzungen bräuchte.
Wobei Kostenersatz und Arbeitsfreistellung mir die am ehesten erwarteten Antworten schienen.
Unsere 7 Themen hab sich nicht durch besondere Neuheit ausgezeichnet, zu jedem Thema lassen sich bestimmt viele, viele Seiten Abhandlungen, Projektberichte und Erfahrungen - selbst aus Österreich - finden. Schade, dass davon nichts kommuniziert wurde. Zu meinem Thema 4 zur Qualitätsstrategie ist ein offizielles Papier aus diesem Sommer Qualitätsstrategie für das österreichische Gesundheitswesen 3.0 verfügbar, das wäre als Grundlage für Diskussionen bestimmt gut gewesen.
Zumindest auf "meinen" beiden Tischen gab es auch jeweils Tischvorlagen, die als Basisinformation einen gemeinsamen Startpunkt
ermöglichen sollten. Ich habe extra gebeten, die Tischvorlagen auch in die Forumsdokumentation aufzunehmen, damit der Ablauf transparent
dokumentiert wird. Aktueller Anstoß dazu war die Forumlierung auf einer Vorlage, dass jede Person die allerbeste Gesundheitsversorgung bekäme (o.ä.).
Just, während nahezu gleichzeitig wieder das Verlorensein der ME/CFS-Betroffenen in der Presse thematisiert wurde:
Sozialministerium
sieht Versorgung flächendeckend gesichert
und
Aktionsplan ...
dürfte sich weiter verzögern.
Ich habe als Anschauungsmaterial die Ergebnisse zum Thema 4 mit Fragen zur Beteiligung im Rahmen der Qualitätsstrategie des Bundes als Bild (rechts) mitgenommen.
Auf der Pinwand sind übereinander die Ergebnisse von zwei Bürgergruppen zum selben Thema zu sehen (wir hatte 1x Tisch/Thema gewechselt).
Ein wenig mit der Menschheit versöhnt hat mich das nahezu unisono formulierte Bedürfnis nach Transparenz und Daten. Nicht nur, um Vorgänge verstehen zu können,
sondern auch, die das Zustandekommen von Ergebnissen oder Misserfolgen beobachten zu können.
Was mich aber komplett frustriert (und mich dazu treibt, jetzt zu tippen), ist das Format des Forums an sich und seine Verwendung.
Ich war perplex, wie gegen Ende der Veranstaltung Personen für die Entsendung in eine Gruppe mit Zielsteuerungsvertretern gesucht wurden.
Das war unerwartet und ich hoffe, dass ich vieles dabei falsch verstanden habe.
Unvorbelastete Individuen in Bundesgremien zur Gesundheitspolitik zu schicken - im Spielejargon würde ich das als den größtmöglichen
Destruktor für das bis dahin aufgebaute Umfeld der Patientenvertretung bezeichnen. Auf der eine Seite ist die Vertretung der Bürgeranliegen ohne
Übung im Zielgebiet wenig erfolgversprechend und auch nicht besonders repräsentativ erwartbar. Auf der anderen Seite
möchte man verständlicher Weise auf nicht 8 Millionen Einzelbauchgefühle kommuniziert bekommen, sondern es ist praktisch und verständlich eine
aggregierte Stimme gefragt.
Ich hätte eigentlich gehofft, dass die grundsätzlichen Diskussionen, was für Interessenvertreter an Mindeststandards gefordert wird
weil es vernünftig ist, schon gegessen sind.
Wobei es letztendlich keinen Unterschied macht, ob eine Patientengruppe, eine soziale Gruppe wie Pensionisten oder die ganze Bürgerschaft
vertreten werden soll. Die Mechanismen, die Relevanz und Mandat erzeugen können, sind im Grunde überall die gleichen.
Der Versuch einer erweiterten Bürgerbeteiligung ist in jedem Fall zu begrüßen - wenn er etwas Zusätzliches ist und nicht als Vorwand dafür verwendet wird, nicht mit legitimierteren, geübteren, besser vorbereiteten Vertretern der Zivilgesellschaft reden oder verhandeln zu müssen.
Mann muss sich das Forum nur in einen anderen Vertretungsbereich übersetzen, um daran zu zweifeln, dass die ehemalige KuK-Monarchie schon im dritten Jahrtausend angekommen ist: Stellen wir uns vor, das Ministerium (welchen dieses Forum über die GÖG betreibt) wäre die Großindustrie und die Bürger wären die Arbeiter. Stellen wir uns vor, die Industriellenvertreter würden einige ausgewählte Arbeiter anhören, um Ideen für zukünftigen Gehalt und Arbeitsbedingungen zu legitimieren und bereits existierende Gewerkschaften mit diesem Vorgehen ausschließen, weil man würde ja eh Arbeiter zu Wort kommen lässt. Das war wohl der Zustand vor 150 Jahren und ich hätte nicht damit gerechnet, in meinem Leben jemals mit dieser Argumentationslinie konfrontiert zu werden.
Der ventilierte Vergleich mit dem Klimarat hinkt ungleich schlimmer als ein lahmes Pferd. Für mich ist das vorbildliche Projekt Klimarat eher die Bestätigung des soziologischen Experiments, dass sich viele Menschen nachhaltig vernünftig verhalten, wenn man ihnen die Gelegenheit zu verstehen gibt (da waren Vorträge zum evidenten Ist-Zustand) und dass soziale Interaktion jedem Einzelnen guttut. Und dazu war der Beginn dieses Bürgerforum-Formats wirklich eine Antithese (abgesehen vom Guttun).
Ich hab keine Ahnung, was da vorgeht, ich fühle mich grad wie ein Statist in Und täglich grüßt das Murmeltier und hoffe, dass das nur ein
schlechter Traum war.
Ähnlich, nur weit nicht so tief frustriert, habe ich mich vor drei Jahren bei der Diskussion zur Patientenbeteiligung gefühlt:
Patientenbeteiligung durch Selbsthilfeorganisationen (2022).
Am Tag danach ...
.. habe ich immer noch keine Ahnung, was da vorgeht. Ich brauch Hilfe, die Weisheit des Internets.
Ich frage ChatGPT und kriege einige Checklisten, an denen ich das Erlebte ganz gut einordnen kann, und mach daraus eine eigene Seite:
ChatGPT und aleatorische Bürgerbeteiligung.
Mir ist zu 100% bewusst, dass die ChatGPT-Fundstücke nur zusammengesetzte Textfragmente der Internetsuche zur Frage sind.
Trotzdem sind die Antworten umfassender und besser strukturiert als ich es in überschaubarer Zeit hinbekommen würde.
Frustrierender Weise stellt sich anhand dieser Checklisten das von mir erlebte "Bürgerforum" fast nur negativ dar. Alles bezüglich
Gremienarbeit und legitimierte Vertretung, wofür ich mittlerweile jahrzehntelang eingetreten bin, negierend in die Tonne tretend und stattdessen
einen Wald von Feigenblättern pflanzend.
Positiv ist hingegen, dass auch praktisch alle anderen Forumsteilnehmer meiner Thementische nach Grundlagen wie offene Dokumentation
aller Daten für die Öffentlichkeit gefragt haben - siehe Pinwandfoto.
Die Aufwände, die für die Veranstaltung des Forums und im Vorfeld getätigt wurde, sind respektabel hoch. Mich als Patientenvertreter im Bereich der seltenen Erkrankungen, wo es permanent notwendig ist, jeden Cent zweimal umzudrehen und jede Sekunde effizient zu nutzen, frustriert der bloße Gedanke daran, was mit diesem Resourcenaufwand alles hätte bewirkt werden können.
Am schlimmsten aber ist die ernüchternde Erkenntnis, das von der Organisation GÖG GesmbH und ihrer Untersparten über viele Jahre zurecht geforderte
Mindeststandards zur Vertretung in Gesundheitsbelangen
(siehe ÖKUSS) mit diesem Forumsformat von ihr selber komplett konterkariert werden -
ganz nach dem Motto Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? oder Was kümmert mich das Geschwätz der anderen Abteilung?
Was läuft hier?
Ich denk grad an den Gerhard Bronner, wie er im Guglhupf die GÖG als neu gegründete Auftragsschreibwerkstatt des (mit den Ergebnissen seines Beamtenstabs unzufriedenen) Ministers beschrieben hat,
wenn ich das richtig in Erinnerung habe -
und wes Brot ich ess des Lied ich sing denk ich mir dazu. Brot braucht man alle paar Tage frisch, da muss man schon mit den Prinzipien von gestern
flexibel agieren.
Mist, wieder mal in der österreichischen Realität angekommen.
Manchmal zeigen Ereignisse mit überschaubarer Wirkmächtigkeit (wie ein initiales Bürgerforum) strukturelle Eigenschaften auf, die vorher nicht sichtbar oder zumindest nicht eindeutig belegbar waren. Und so, wie ich das Bürgerforum erlebt habe, ist Sabotage an der kollektiven Patienten- oder Bürgervertretung die freundlichste Umschreibung.
#GNSH und #GNPV
Die Zwischenergebnisse der GÖG
Am 24.10.2035 - drei Wochen nach dem Forum - ist das Mail gekommen, mit dem auf die von den Veranstaltern zusammengestellten Zwischenergebnisse und auf das Follow-Up für die Beteilgten hingewiesen wurde: Projektseite Phase 5
Was fällt mir dazu ein?
- Das Ergebnisprotokoll sollte nicht vom Veranstalter gemacht werden, weil man sonst befürchten könnte, dass genau das herauskommt, was dem Veranstalter dienlich ist - siehe Darstellung "Am Tag danach ..." oben.
- Überschriften korrekturlesen wäre auch nicht schlecht: Im Ergebnisse-PDF ist die Szenario 4 - Überschrift beim Thema 5, die Ausblick - Phase 7 auf der Projektseite läuft von 1.Januar 2029 - 18.Januar 2029. [Heißt es in Österreich jetzt Jänner oder Januar oder ist das ein Ergebnis von Szenario 1?]
Erwähnte Webseiten und Links
- Agenda Gesundheitsfoerderung (eine Seite der GÖG)
- Partizipativer Strategieprozess Zukunft Gesundheitsförderung (eine Seite der GÖG)
- Klimarat (ÖGUT – Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik, 2022)
- Patientenbeteiligung durch Selbsthilfeorganisationen (Hansi, 2022)
- ChatGPT und aleatorische Bürgerbeteiligung (Hansi, 2025)
- Selbsthilfebeteiligung im Rahmen von Bürger- und Patientenbeteiligung in Österreich (ÖKUSS - Fachwissen und Konzepte, eine Seite der GÖG)
- Der Guglhupf in der Mediathek des technischen Museums
- Qualitätsstrategie für das österreichische Gesundheitswesen (Sozialministerium, 2025-08-25)
- Gesundheitsziele - Entstehung und Umsetzung (eine BM-Seite)
- Sozialministerium sieht Versorgung flächendeckend gesichert (2025-10-07)
- Aktionsplan zur Versorgung von Post-Covid- und ME/CFS-Patienten dürfte sich weiter verzögern (2025-10-12)
Letzte Änderung: 2025-10-25. Absatz über Tischvorlagen eingefügt, Rechtschreibfehler, Format der Links und kleine Fehler ausgebessert.)
Weitere Literatur
- Werke der GÖG und ihrer Unterabteilungen auf jasmin - eventuell zum gleichen Thema in mehreren Sparten suchen.
- Kollektive Patienten- und Bevölkerungsbeteiligung im Gesundheitswesen: Strategiepapiere und Gesetze in Österreich (GÖG, April 2025)
- Projekt: Strategie zur Stärkung von Patient:innen- und Bevölkerungsbeteiligung im Gesundheitswesen | GÖG

