10 Jahre Sarkoidose Netzwerk Bonn


Am 6. April 2016 fand die Jubiläumsveranstaltung 10 Jahre Sarkoidose Netzwerk Bonn im Universitätsklinikum am Venusberg statt. Das Sarkoidose Netzwerk Bonn gibt es offiziell seit März 2006, siehe auch die Meldung im General-Anzeiger. Und was soll ich sagen? Die auf der Vereins-Homepage unter Wir über uns angeführten Beweggründe, die zur Entstehung des Netzwerks in Bonn geführt haben, haben nichts an Aktualität oder Bedeutung verloren.

Ich hatte den starken Eindruck, dass der Abend für Veranstalter, Vortragende und auch viele Zuhörer den Charakter eines größeren Famlientreffens hatte. So soll es ja auch sein. Auch unsere kleine anwesende Forumsgruppe hatte schon einige jahrelange Bekanntschaften aufzuweisen.

Thomas Ginko (niedergelassener Pneumologe, Bonn) begrüßte als Moderator die Anwesenden. Er wies darauf hin, dass das Netzwerk in den 10 Jahren ein selbstverständlicher Bestandteil der Sarkoidoselandschaft geworden ist und lobte das geleistete Arbeitspensum der Familie Stachetzki.

Gabriele Klingmüller (an diesem Tag Oberbürgermeisterin) verlas einen Text, in dem sie die Wertschätzung der Netzwerktätigkeit zum Wohle der Betroffenen zu Ausdruck brachte.

Thomas Wentzel (die "IT-Abteilung" des Netzwerks) wies auf die Unterscheidung Netzwerk und Verein hin. Er zitierte Marissa Mayer aus einer Rede am IIT (2009):

Wer Informationen teilt, hat Macht. Teilt alles mit allen. Je wertvoller Eure Informationen sind, desto besser. Wer etwas teilt, baut ein Netzwerk auf. Ein Netzwerk führt zu Zusammenarbeit, Zusammenarbeit führt zu Kreativität und Innovation – und die verändern die Welt.

Er wies auch darauf hin, dass die vom Netzwerk erwarteten und auch wahrgenommenen Aufgaben im Lauf der Zeit immer mehr wurden. Und dass diese Form von Selbsthilfe auf längere Sicht nur funktionieren kann, wenn sich auch mehr Personen aktiv in das Netzwerk einbringen.

Bernd Stachetzki (1. Vorsitzender Sarkoidose-Netzwerk) erzählte über die Anfänge des Netzwerks in Bonn, über das erste, 12 Jahre zurückliegende Treffen mit Christian Grohé. Und über die ersten "Arbeitstreffen" im eigenen Wohnzimmer, über 11 Netzwerktreffen mit 30 Referenten aus 20 Fachrichtungen, über Kontakte zu rund 50 Ärzten nur aus der Region Bonn.
Er wies auch darauf hin, dass für das Funktionieren des Netzwerks ein intensiver und gegenseitiger Informationsaustausch zwischen Patientenvertretern und Ärzten ("Koordinationsteam") notwendig und auch vorhanden ist. Er erwähnte stetige Weiterentwicklungen im Netzwerk und im Vorstand, eine neue Vereinsbroschüre und das "Umlandreferat" (das ist der Fall für mich: die Gruppenleiterin für die Gegenden, an denen es kein lokales Netzwerk gibt und die mich mit einer Dose gebrannter Mandeln nach Bonn gelotst hat).

Wie schon Thomas Wentzel vor ihm rief er zum Mitmachen auf und beschrieb die Arbeit am Netzwerk in Richtung einer personalunabhängigen Institution. Er bedankte sich auch bei den anwesenden Ärzten für ihr Engagement, für ihre unbezahlbare und auch unbezahlte Anwesenheit.

Thomas Grohé (Chefarzt Pneumologie, Evangelische Lungenklinik Berlin) erzählte auch kurz über seine ersten Berührungspunkte mit dem Netzwerk und beschreib (mit einem breiten Lächeln) die Aktivität des Netzwerks als nachhaltig und hartnäckig. Er zeigte einige Stationen bei der Sicht der Sarkoidose, wies auf die weltgrößte Sarkoidose-Gen-Kohorte in Berlin hin und stellte die Frage in den Raum, ob es ähnlich dem Facettenreichtum der Sarkoidose nicht auch die Notwendigkeit einer ebenso großen Therapievielfalt geben müsse.

Dirk Woitalla (Chefarzt Klinik für Neurologie, St. Josef-Krankenhaus, Essen-Kupferdreh) erwähnte auch seinen Erstkontakt mit Neurosarkoidose. Und zwar sollte er 1992 als junger Arzt im Auftrag seines Chefs ein Buchkapitel dazu verfassen. Es ist aber beim "Sollte" geblieben, weil er einfach nicht genug belastbares Material darüber an den Schreibfingern hatte. Seither sei (Neuro-)Sarkoidose ein "lebensbegleitendes Hobby".

Entsprechend dem Titel seines Vortrags wies er darauf hin, dass die Müdigkeit ein Symptom sei und keine eigene Erkrankung. Die unfangreichste Sammlung an Statistikdaten zu Neurosarkoidose (118 Fälle) stamme übrigens immer noch aus 1948 (Colover). Er wies darauf hin, dass jedes Granulom auch einmal klein angefangen hat - lange bevor diese Details in einem optischen Mikroskop sichtbar werden. Seine Ausführungen beschränkten sich eigentlich auf den Bereich des Nervenwassers - Gehirn und Rückenmark (ohne Peripherie und Muskeln). Er wies darauf hin, dass von den Laborparametern der sIL-2r wieder mal der Signifikanteste (für Neurosarkoidose) wäre und dass Blutwerte nicht die Verteilung im Nervenwasser widerspiegeln.
Wegen der hohen Cortison-Dosen, die wegen der Blut-Hirn-Schranke gegen Neurosarkoidose notwendig seinen, wäre ein relativ frühzeitiger Einsatz von Biologica zu überlegen.

Nach einem kurzen Exkurs zu Small Fiber Neuropathy und konfokaler Mikroskopie ging es um Fatigue, wo die Unterscheidung ob entzündliche oder psychologische Faktoren die Ursache wären, nicht leicht sei. Als Bewertungsgrundlage wurden Fragebögen und Aufmerksamkeits-/Konzentrationstests angeführt.

Ganz wichtig erschien mir einer der abschließenden Ratschläge: Erkundigen, ob der behandlende Neurologe Erfahrung mit Neurosarkoidose hat. Und wenn er nicht hat - einfach einen anderen Arzt suchen.

Claudia Inhetvin-Hutter (Augenklinik Roth, Bonn) zeigte, welche Benennungen im Rahmen von Betroffenheit des Auges vorkommen und welche Teile des Auges dabei von Sarkoidose betroffen sind, weil die Sarkoidose als systemische Entzündung überall ansetzen kann. Bei jedem 13. Uveitis-Patienten sei Sarkoidose die Grunderkrankung. Sie wies auch darauf hin, dass interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig sei und lobte die Vernetzungsarbeit des Netzwerks zwischen Patienten und Ärzten.

Markus Stock (niedergelassener Orthopäde, Bonn) erzählte über den Stellenwert von Osteoporoseprophylaxe und Vitamin D im Allgemeinen.

Mein Resümee

Was hab ich mir heuer aus Bonn mitgenommen?
Es gibt da viele Eindrücke, die ich erst einmal verdauen muss. Und langsam manifestiert sich auch wieder das unvermeidbare deja vu, das sich immer bei mir einstellt, wenn ich mir aus einer Veranstaltung abgeleitet zukünftige Handlungsmöglichkeiten durch den Kopf kreisen lasse.

Zuerst ist da die Bestandsaufnahme. Awareness, Wissen um Sarkoidose bei Ärzten, im Gesundheitsbereich und der Allgemeinbevölkerung. Sichtbare Versorgungsstrukturen, die einigermaßen zeitgemäßes Praktizieren und Agieren für alle Beteiligten ermöglichen. Vertrauen und Sicherheit für Betroffene, im Gesundheits- und Sozialsystem gut aufgehoben zu sein. Unterschiedliche Beweggründe der Zuhörer, um zu diesem Treffen zu kommen, vor allem aus dem Bereich Informationsvermittlung.

Darauf folgt dann gleich die Ernüchterung. Es ist nicht alles Eitel-Wonne-Eierkuchen. Wir wissen nicht, woher die Sarkoidose kommt und welchen Verlauf sie bei jedem Einzelnen nehmen wird. Es ist schon ein dreiviertel Jahrhundert her, dass 1943 im New England Journal zu lesen war ... is now recognized to be a generalized disease that may involve any organ ... und trotzdem hab ich gegenwärtig oft den Eindruck, eine fächerübergreifende Versorgung/Betrachtung wäre die Ausnahme. Zumindest daheim bei mir beim wilden Alpenvolk.

Einer der Aufhänger, derentwegen ich nach Bonn gepilgert bin, ist (neben der Verlockung durch gebrannte Mandeln) das Vortragsthema Fatigue gewesen. Leider ist diese Baustelle auch recht schnell abgehandelt gewesen mit der Bemerkung, es wäre nur ein Symptom und keine Krankheit.
"Nur".
Für mich ist diese Müdigkeit, die mich permament durch Watte wandern läßt und die jeden Gedanken durch ein zähes Gelatine-Universum bremst, eine wesentliche Einschränkung. Ganz egal, ob dieser Befindlichkeitsmißstand ein Symptom oder eine Krankheit ist; ganz egal, ob diese Malaise von der Sarkoidose verursacht wird oder eine andere Ursache hat - es ist eines meiner Hauptprobleme.

Natürlich, Sarkoidose ist bei der Mehrzahl der Betroffenen keine unmittelbar lebensbedrohliche Krankheit. Sie ist eigentlich eine recht Gutmütige - immerhin gelangen 2/3 der Betroffenen in "Remission", ohne dass es irgendeiner Intervention bedarf und ohne dass gröbere Schäden zurückbleiben. Sie hat aber andererseits auch kein Ende. Der größte Teil der Betroffenen in Remission berichtet über Fatigue - wie wir gelernt haben, ein Symptom und keine Krankheit. Der gesellschaftliche Umgang mit drastisch reduzierter Leistungsfähigkeit, dem wir begenen, ist oft recht ignorant. Nicht umsonst ist But you don't look sick einer der Slogans zu diesem Thema. Aber wir tragen kein Schild vor uns her, auf dem leicht zu erkennen wäre, was mit uns los ist und wie mit uns zu verfahren wäre.

Die selbstbehauptete Kernkompetenz der Wiener Selbsthilfeorganisationen ist die Navigationshilfe durch Medizin- und Gesundheitsbereich. Ich möchte deshalb die Aussage von Dirk Woitalla ganz dick unterstreichen: Versucht, an ambitionierte Ärzte zu kommen, bei denen ihr nicht der erste Patient mit eurem Erscheinungsbild seid. Macht kein Mystery Doc Shopping, fragt bei anderen Mitbetroffenen nach deren Erfahrung, profitiert davon und gebt eure relevante Erfahrung weiter. Tragt dazu bei, Sarkoidosepatienten an wenigen Flecken zusammenzubekommen, um auch den Ärzten Gelegenheit zu geben, Erfahrung aufbauen zu können. Organisiert euch, um Lobbyismus in unserer Sache möglich zumachen.

Man wird so wahrgenommen, wie man auftritt - als tragische, anektotenhafte Einzelerscheinung oder als beachtenswerte, nicht übersehbare Menge.

Es ist schon 33 Jahre her, da schrieb Larry Kramer: Our continued existence depends on just how angry you can get. In diesem Sinne: rafft euch auf, rottet euch zusammen, helft euch gegenseitig durch die Wirrwege der Sarkoidose; helft mit, dass die Sarkoidose ihre Ungewißheit und ihren Schrecken verliert.

Uns mit vielen Betroffenen zu einem großen Netzwerk zusammenzufinden wäre dazu bestimmt ein guter Anfang.


Oink (= aufmunternder Zugrunz) und Solidarität,
Hansi

(Letzte Änderung: 2016-04-10)